Verfasst von Elli; zuletzt aktualisiert am 4. Juli 2025
Interozeption bezeichnet die Fähigkeit, Signale aus dem Körperinneren wahrzunehmen: zum Beispiel, wie schnell das Herz schlägt, ob Muskeln verspannt sind, ob man Hunger hat oder wie stark die Blase gefüllt ist.
Damit ist Interozeption zugleich überlebenswichtig und völlig normal – jeder kann es, für jeden ist es wichtig.
Allerdings: Nicht alle besitzen eine gleiche gute Fähigkeit zur Interozeption.
Und das kann zum Problem werden.
Denn wer viele seiner Körpersignale gar nicht erst bemerkt, dem entgehen viele wertvolle Informationen über sein Gefühlsleben, über den Zustand seines Körpers.
Besonders wichtig scheint das Thema Interozeption für Menschen mit Depressionen, Essstörungen und Ängsten: laut Forschung ist die Interozeption da nämlich häufig gestört – wobei nicht ganz klar ist, ob die Abnahme der interozeptiven Fähigkeiten eine Folge der Erkrankung oder eine (Mit-)Ursache ist. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass die Verbesserung der Interozeption oft eine Verbesserung der psychischen Symptome bewirken kann.

Damit fällt dieser Artikel in meine persönliche Lieblingskategorie von Artikeln: nämlich solchen, die ganz grundsätzliche körperliche Mechanismen beleuchten, die mit der Psyche zusammenhängen.
So etwas liebe ich.
Inhaltsverzeichnis
- Wie hängen Emotionen und Interozeption zusammen?
- Wie sieht Interozeption bei gesunden Menschen aus?
- Interozeption und psychische Erkrankungen: Das ist der Zusammenhang
- (Weitere) Übungen zur Verbesserung der Interozeption
- Welche Effekte können Übungen zur Verbesserung der Interozeption haben?
- Meine Erfahrungen mit interozeptiven Verfahren
- Wann du mit interozeptiven Verfahren vorsichtig sein solltest
- Anzeichen dafür, dass deine interozeptiven Fähigkeiten ausbaufähig sind
- Quellen
Herzlich willkommen zu diesem, wie ich finde, hochspannenden Blogbeitrag darüber, was Körpersignale und psychische Gesundheit miteinander zu tun haben!
Über mich
Ich bin Elli und habe selbst Erfahrungen mit Depressionen. Mir haben vor allem körperliche Ansätze sowie ganzheitliche Mind-Body-Verfahren geholfen – und genau darüber schreibe ich hier, immer mit Bezug auf aktuelle Forschung zum Thema. Denn Körper und Geist hängen eng zusammen. Mind to Body, Body to Mind! Hier erfährst du mehr über mich.
Wie hängen Emotionen und Interozeption zusammen?
Man könnte bei diesem Thema richtig ins Detail gehen und mit bestimmten Gehirnregionen und bildgebenden Verfahren etc. argumentieren, aber ich vereinfache an dieser Stelle bewusst, um den Punkt deutlich zu machen.
Disclaimer: Alle Informationen, die du hier findest, sind mit großer Sorgfalt recherchiert, aber: Ich bin keine Ärztin, und alle Angaben in diesem Beitrag sind ohne Gewähr. Wenn du Beschwerden hast, empfehle ich dir, medizinisches Fachpersonal zu konsultieren – das ist die einzige Möglichkeit, um eine angemessene Behandlung zu erhalten. Die hier bereitgestellten Informationen stellen keine Handlungsanweisung dar, ersetzen keinen Arztbesuch und dienen auch nicht der Selbstdiagnose oder -behandlung, sondern der weiterführenden Diskussions meines Blogbeitrags-Themas bzw. spiegeln eigene Erfahrungen oder Meinungen meiner Interviewpartner wider.
Emotionen drücken sich immer auch körperlich aus (zum Beispiel: schnellere Atmung bei Angst, Herzklopfen bei großer Freude etc.). Wer diese körperlichen Signale nicht oder nicht ausreichend spürt, läuft Gefahr, Emotionen nicht richtig wahrzunehmen oder falsch zu deuten.
Wenn Gefühle nicht (gut) genug wahrgenommen werden, bedeutet das auf Dauer Stress für Körper und Geist: Du kannst auf die Gefühle nicht angemessen reagieren.
Insgesamt scheint es allerdings auch wichtig zu sein, die eigenen Körpersignale auf eine sichere Art und Weise wahrzunehmen.
Das bedeutet, dass du auf die Signale deines Körpers hörst, diesen aber erst mal keine Gefahr zuordnest, sondern mit einem Gefühl der Neutralität und inneren Sicherheit begegnen kannst.
Wenn du beispielsweise jedes Herzklopfen als Vorzeichen eines Herzinfarkts werten würdest, verunmöglicht das eine neutrale Wahrnehmung deines Körpers – du bekommst Angst, dein Herzschlag beschleunigt sich weiter: ein Teufelskreis, der in immer mehr Angst mündet.
Solche Mechanismen sind typisch für Angststörungen. Hier liegt der interozeptive Fokus häufig zu sehr auf bestimmten Körperwahrnehmungen, die von den Betroffenen als Angstsignale (über-)bewertet werden.
Wie sieht Interozeption bei gesunden Menschen aus?
Im Artikel „Interoceptive pathways to understand and treat mental health conditions“ schlagen die Autor:innen folgende Merkmale für eine gesunde Interozeption vor:
- Du nimmst Körpersignale unterschiedlichster Art akkurat wahr und bewertest sie im Kontext richtig, ohne ins Katastrophisieren abzurutschen.
- Normalerweise liegt der Fokus deiner Wahrnehmung auf der Außenwelt, aber du kannst sie problemlos auf deine Körpersignale richten, wenn es dir angemessen scheint.

Interozeption und psychische Erkrankungen: Das ist der Zusammenhang
Oben habe ich ja schon einmal erwähnt, dass eine verminderte Interozeption und psychische Erkrankungen oft Hand in Hand gehen.
Das konnte auch anhand von bildgebenden Verfahren des Gehirns während Interozeptions-Tests gezeigt werden: Bei Menschen, die an einer Angsterkrankung, bipolaren Störung, Depressionen, Magersucht oder Schizophrenie litten, konnte eine verminderte Aktivierung eines bestimmten Gehirnareals, das mit Interozeption zusammenhängt, gezeigt werden. Das heißt, diese interozeptiven Abweichungen von Menschen mit psychischen Erkrankungen sind tatsächlich im Gehirn „sichtbar“ zu machen.
Dass bei psychischen Erkrankungen Störungen in der Kommunikation von Körper und Geist mit involviert sein könnten, lässt sich auch an der Tatsache ablesen, dass bei vielen psychischen und psychiatrischen Erkrankungen auch körperliche Symptome auftreten.
Aber: Gehen die interozeptiven Störungen den psychischen Erkrankungen voraus, oder sind sie eine Folge davon?
Hier ist die Antwort kurz und einfach: Man weiß es nicht.
Was man allerdings weiß: Viele Interozeptions-basierte Verfahren können bei psychischen Erkrankungen unterstützend hilfreich sein.
Es scheint insgesamt also vorteilhaft, seine Körpersignale einigermaßen akkurat wahrzunehmen, und viele Behandlungsmethoden, die bei psychischen Erkrankungen angewendet werden, setzen dort an: zum Beispiel über achtsamkeitsbasierte Verfahren wie Meditationen oder Yoga.
Auch Verfahren, die den Vagusnerv stimulieren und die manchen Menschen gegen depressive Symptome helfen, könnten indirekt darauf abzielen, denn der Vagusnerv hängt mit interozeptiven Netzwerken im Gehirn zusammen.
Therapeutische Massagen scheinen ebenfalls hilfreich zu sein.
(Weitere) Übungen zur Verbesserung der Interozeption
- Gefühle körperlich fühlen: schließe die Augen und höre in dich hinein, was du wo und wie spürst. Richte deine Aufmerksamkeit ganz auf diese Gefühle. Wenn du magst, kannst du sie für dich auch sprachlich benennen.
- Yoga Nidra (eine Art Meditation, bei der du den ganzen Körper abwechselnd spürst)
- Atemübungen
- Stretching
- „Normales“ Yoga
- Massagen
- Achtsamkeitsmeditationen
Um einen Effekt zu spüren, ist es natürlich wichtig ist, dass du die Übungen einigermaßen regelmäßig ausführst.
Welche Effekte können Übungen zur Verbesserung der Interozeption haben?
Verfahren zur Verbesserung der Interozeption können helfen
- einen besseren Kontakt zu dir selbst zu finden
- deine Gefühle und deinen Körper besser zu spüren
- dich zu entspannen
Meine Erfahrungen mit interozeptiven Verfahren
Ich mache seit einiger Zeit Yoga Nidra (manchmal auch „normales“ Yoga, je nachdem, wonach mir gerade ist) – und gerade Yoga Nidra hat mich wahnsinnig überrascht.
Anfangs klang es für mich wie die langweiligste Beschäftigung, die ich mir vorstellen konnte: mithilfe einer geführten Meditation meine Wahrnehmung immer abwechselnd auf verschiedene Körperbereiche zu lenken. Ich hatte null Lust darauf, und habe es in einer Zeit, in der ich sehr erschöpft war, trotzdem ausprobiert – und war danach immer erfrischter, ausgeglichener, wacher als davor. Nur durch das bessere Spüren meines Körpers.
Für mich war das ein Anzeichen dafür, dass ich mich meinen Gefühlen und Körperempfindungen vielleicht zu wenig Raum in meinem Alltag gebe – obwohl ich zu jedem Zeitpunkt sagen könnte, wie ich mich fühle. Aber vielleicht habe ich mich insgesamt trotzdem nicht genau genug gefühlt, wenn du weißt, was ich meine?
Wann du mit interozeptiven Verfahren vorsichtig sein solltest
Ich habe gerade beschrieben, dass es mich unfassbar entspannt, wenn ich meinen Körper besser spüre.
Aber damit meine ich: dass ich meinen Körper auf eine positive oder wenigstens neutrale Weise spüre.
Wenn du merkst, dass du dich plötzlich viel ängstlicher fühlst als davor oder dich generell nicht mehr sicher fühlst in deinem Körper, solltest du das interozeptive Training erst mal abbrechen und mit deinen Ärzt:innen oder Therapeut:innen darüber sprechen – dahinter kann zum Beispiel eine Traumafolgestörung stecken oder auch eine Angsterkrankung. Bei der letzteren werden manchmal normale Körperempfindungen als Angstsignale überinterpretiert, zum Beispiel ein normaler Herzschlag als der Beginn von Herzrasen, was wiederum zu verstärkten Ängsten führen kann.
Grundsätzlich ist es wichtig, dass sich dein Körper sicher für dich anfühlt.

Anzeichen dafür, dass deine interozeptiven Fähigkeiten ausbaufähig sind
- Du bemerkst erst, dass du Hunger hast, wenn du bereits gefühlt kurz vor der Ohnmacht stehst oder schon lange „hangry“ bist
- Du weißt nicht, was du fühlst (als Dauerzustand, nicht, weil du kurzzeitig verwirrt bist oder dich gerade in einem Zustand innerer Leere befindest)
- Wenn du ein bestimmtes Gefühl hast (Traurigkeit, Fröhlichkeit, Angst, alles Mögliche), und es, selbst wenn du dich darauf konzentrierst, nicht auch körperlich fühlen kannst; wenn dein Gefühl rein kognitiv bleibt, auch wenn du versuchst, es körperlich nachzuempfinden
- Dir fällt es schwer, mit deiner Aufmerksamkeit in deinem Körper herumzuwandern: dich zum Beispiel auf deinen kleinen linken Finger zu konzentrieren und diesen dann besonders zu spüren.
Quellen
Clemente, Rhea et. al.: „The relationship between self-reported interoception and anxiety: A systematic review and meta-analysis.“ Neuroscience & Biobehavioral Reviews vol. 167 (2024).
Eggart, Michael et al. “Major Depressive Disorder Is Associated with Impaired Interoceptive Accuracy: A Systematic Review.” Brain sciences vol. 9,6 (2019).
Farb, Norman et al. “Interoception, contemplative practice, and health.” Frontiers in psychology vol. 6 (2015).
Heim, Nikolas et al. “Psychological interventions for interoception in mental health disorders: A systematic review of randomized-controlled trials.” Psychiatry and clinical neurosciences vol. 77,10 (2023).
Nord, Camilla L et al. “Disrupted Dorsal Mid-Insula Activation During Interoception Across Psychiatric Disorders.” The American journal of psychiatry vol. 178,8 (2021).
Nord, Camilla L, and Sarah N Garfinkel. “Interoceptive pathways to understand and treat mental health conditions.” Trends in cognitive sciences vol. 26,6 (2022).