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Verstärkte Depressionen durch Hitzewellen?

Verfasst von Elli; zuletzt aktualisiert am 20. April 2024


0,9 Prozent: Das ist die Zahl, um die es hier geht. Die Zahl, die die Antwort auf obig gestellte Frage gibt: Macht uns der Klimawandel noch depressiver, als wir es sowieso schon sind?

Zugegeben, die Frage ist provokant formuliert. Was heißt „noch depressiver“ schon? Und was genau am Klimawandel sollte einen eigentlich nicht depressiv machen?

Aber mir geht es hier um bestimmte Effekte.

Genauer um einen Effekt: überdurchschnittlich heiße Temperaturen über längere Perioden. Hitzewellen.

Denn für jedes Grad, um das sich das Wetter während einer Hitzewelle erwärmt, erhöht sich das Risiko für Menschen mit Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen, stationär behandelt zu werden oder die Notaufnahme aufsuchen zu müssen, um 0,9 Prozent.

Das hat eine große Meta-Analyse aus dem Jahr 2021 herausgefunden: „Is there an association between hot weather and poor mental health outcomes?“ Die Autor*innen analysierten 53 Studien, im Zeitraum von 1990 bis 2020, mit insgesamt über 1,9 Millionen an psychisch bedingten Krankheitsfällen weltweit. Ihr Schluss: Je höher die Temperaturen über dem Durchschnitt lagen, desto häufiger suchten Menschen ärztliche Hilfe aufgrund von psychischer Probleme. Laut der Meta-Analyse besonders gefährdet sind Menschen, die in tropischen oder subtropischen Klimazonen leben, sowie Menschen über 65 Jahre.

Aber warum ist das so? Wieso kann Hitze Depressionen verschlimmern, und wo liegen die Zusammenhänge zwischen Thermoregulation und Depressionen?

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Darum soll es in diesem Artikel gehen.

Dich erwartet eine spannende Mind-Body-Spurensuche, die zeigt: Depressionen und (veränderte) Thermoregulation gehen sehr oft Hand in Hand.

Disclaimer: Alle Informationen, die du hier findest, sind mit großer Sorgfalt recherchiert, aber: Ich bin keine Ärztin, und alle Angaben in diesem Beitrag sind ohne Gewähr. Wenn du Beschwerden hast, empfehle ich dir, medizinisches Fachpersonal zu konsultieren – das ist die einzige Möglichkeit, um eine angemessene Behandlung zu erhalten. Die hier bereitgestellten Informationen stellen keine Handlungsanweisung dar, ersetzen keinen Arztbesuch und dienen auch nicht der Selbstdiagnose oder -behandlung, sondern der weiterführenden Diskussions meines Blogbeitrags-Themas bzw. spiegeln eigene Erfahrungen oder Meinungen meiner Interviewpartner wider.

Triggerwarnung: Unter Punkt 3 wird kurz das Thema „Suizid“ erwähnt.

4 Gründe, warum sich Hitzewellen negativ auf Depressionen auswirken können

1. Menschen mit schweren Depressionen können schlechter Hitze über die Haut abgeben – und haben so eine höhere Körperkerntemperatur als Menschen ohne Depressionen.

Dass Menschen mit schweren Depressionen weniger effektiv Hitze an die Umgebung abgeben können, weiß man schon seit den 1890er Jahren (kein Tippfehler!).

Damals machte der französische Arzt A. Vigouroux die Entdeckung, dass Menschen mit schweren Depressionen eine eingeschränkte Hautleitfähigkeit hatten.Das heißt: Ihre Haut war weniger feucht und weniger gut durchblutet als die gesunder Probanden. Oder in anderen Worten: Sie schwitzten weniger effektiv.

Vigouroux brachte damit einen Sachverhalt ans Tageslicht, der bis heute in vielen Studien reproduziert werden konnte: dass im Falle von schweren Depressionen zumeist auch die Thermoregulation gestört ist.

Das zeigt sich nicht nur in einer verminderten Hautleitfähigkeit / Fähigkeit zu schwitzen, sondern in einer nachweislich erhöhten Körperkerntemperatur: Depressiv Erkrankte haben meistens eine, vor allem im Tagesverlauf betrachtet, leicht erhöhte Körperkerntemperatur (allerdings: nicht im Fieberbereich!), die z.B. Nachts nicht wie bei „Gesunden“ im richtigen Ausmaß abfällt. (Eine abendliche Abnahme der Körperkerntemperatur ist für einen gesunden, erholsamen Schlaf wichtig, und auch ansonsten spielt die in bestimmten Phasen ablaufende Thermoregulation eine wichtige Rolle für viele Stoffwechselprozesse.)

„It is particularly well established that depressed patients have dysfunction of thermoregulatory cooling mechanisms.“

Charles L. Raison und Kolleg*innen im Review Article „Somatic influences on subjective well-being and affective disorders: the convergence of thermosensory and central serotonergic systems“ (2015).

Therapien gegen Depressionen, die auf eine Normalisierung der Thermoregulation abzielen

Aus der Erkenntnis, dass Depressionen oft Hand in Hand mit einer veränderten Thermoregulation gehen, sind mittlerweile auch neue Therapie-Angebote für Menschen mit Depressionen entstanden.

So zeigen z.B. Wärmetherapien gute Resultate, die depressiv Erkrankte kurzzeitig (die Betonung liegt auf „kurzzeitig“ – und eben nicht über Tage und Wochen wie bei Hitzewellen) hohen Temperaturen (ähnlich wie in einer Sauna) aussetzen. Das sorgt für eine bessere Durchblutung des Körpers und trägt zu einer Normalisierung der Thermoregulation bei.

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Mehr zum Thema Wärmetherapien findest du in meinem Artikel „Wärme und Depressionen: 3 spannende Zusammenhänge, und wie du sie dir zunutze machen kannst“.

Auch Kälteexposition kann zu einer besseren Durchblutung führen – mehr dazu findest du unter „12 Gründe, warum ausgerechnet Winterschwimmen bei Depressionen helfen kann“.

Fun fact: Auch Tiere, die in ihrer Kindheit sozialem Stress ausgesetzt wurden, haben eine erhöhte Körperkerntemperatur, schwitzen weniger effektiv und suchen vermehrt kühle Orte auf.

Vielfältige Risikofaktoren können dazu beitragen, dass ein Mensch an Depressionen erkrankt. Einer davon: frühe Traumatisierungen.

Aus diesem Grund finde ich die folgende Studie so spannend.


Über mich

Ich bin Elli und habe selbst Erfahrungen mit Depressionen. Mir haben vor allem körperliche Ansätze sowie ganzheitliche Mind-Body-Verfahren geholfen – und genau darüber schreibe ich hier, immer mit Bezug auf aktuelle Forschung zum Thema. Denn Körper und Geist hängen eng zusammen. Mind to Body, Body to Mind! Hier erfährst du mehr über mich.


Sie stammt aus dem Jahr 2018 und trägt den Titel „Early maternal separation promotes alterations in the thermoregulatory profile of adult Wistar rats“ : Dabei wurden junge Ratten bald nach der Geburt jeden Tag 3 Stunden lang von ihren Müttern getrennt, um später überprüfen zu können, ob diese frühen Stresserelebnisse Auswirkungen auf das thermoregulatorische Profil der Ratten hatten.

Spoiler Alert: hatten sie.

Die Ratten, die systematisch von ihren Müttern getrennt worden waren, verhielten sich nicht nur ängstlicher und depressiver als eine Vergleichsgruppe, sondern ihre Körperkerntemperatur fiel nachts nicht so stark ab wie bei ihren glücklicheren Mit-Ratten.

Zudem zeigten sie in warmen Umgebungen stärkere hyperthermische Reaktionen und suchten so häufig wie möglich eine kühle Umgebung auf.

Natürlich kann man die Ergebnisse dieser Studie nicht eins zu eins auf Menschen übertragen.

Aber man weiß, dass auch bei Menschen Stress mit einer erhöhten Körperkerntemperatur einhergeht.
Takakazu Oka schreibt im „Handbook of Clinical Neurology“ (2018):

Stress affects core body temperature (Tc). Many kinds of stress induce transient, monophasic hyperthermia, which diminishes gradually if the stressor is terminated. Stronger stressors produce a longer-lasting effect.“

Takakazu Oka, „Handbook of Clinical Neurology“

Fazit 1: Stress und Körperkerntemperatur hängen eng zusammen.

Fazit 2: Frühe Traumatisierungen können nachhaltige körperliche Spuren hinterlassen.

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2. Psychopharmaka wie z.B. Antidepressiva oder Neuroleptika können die Thermoregulation beeinflussen und das Risiko von Dehydrierung und anderen hitzebedingten Krankheiten erhöhen.

So können Neuroleptika beispielsweise die Körpertemperatur erhöhen, während sie gleichzeitig das Durstgefühl verringern. Das kann während Hitzewellen gefährlich werden.

Aber was gilt eigentlich als „Hitzewelle“? Ab welchen Temperaturen wird es kritisch?

Der Humanökologe Hans-Guido Mücke, der sich im Wissenschaftsmagazin Spektrum zum Thema Hitzewellen und deren Gefahren auf die Gesundheit äußerte, sagt dazu:

Schwer zu sagen, dafür gibt es keinen Schwellenwert. Um gesundheitliche Probleme auszulösen, braucht es keine 50 Grad. In unseren Breitengraden genügen auch Temperaturen von 30 oder 35 Grad Celsius, die über längere Zeit anhalten, insbesondere wenn es nachts nicht abkühlt.

Hans-Guido Mücke, Humanökologe


Trizyklische Antidepressiva hemmen in manchen Fällen die Schweißproduktion, was dazu führt, dass der Körper sich nicht mehr so effektiv abkühlen kann. Sie können auch zu niedrigem Blutdruck führen – was bei Hitze ebenfalls zum Problem werden kann, da heiße Temperaturen bei vielen Menschen den Blutdruck ohnehin absinken lassen.

Manche selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Inhibitoren (SSRIs) können ebenfalls niedrigen Blutdruck verursachen; aber auch gesteigerte Lichtempfindlichkeit oder vermehrtes Schwitzen.

Das waren jetzt nur einige Beispiele. Wenn du wissen möchtest, was auf dich zutreffen könnte, schau dir einfach mal die Beipackzettel deiner Medikamente an und sprich mit deinem Arzt/deiner Ärztin darüber.

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Auf der Webseite der Deutschen Apotheker-Zeitung und auch der ÄrzteZeitung findest du weitere Informationen dazu, welche Medikamente bei Hitzewellen problematisch werden können:

3. Hitzewellen sind einfach anstrengend – und haben selbst für Menschen ohne psychische Erkrankungen oft Effekte auf die Psyche

Eine konstante Temperatur von rund 37 Grad aufrechtzuerhalten, ist für den Körper von zentraler Bedeutung, weil Organe und Stoffwechselprozesse bei dieser Temperatur am besten funktionieren.

Steigen die Außentemperaturen während Hitzewellen plötzlich an, ist es für den Körper sehr viel schwieriger, eine konstante Körperkerntemperatur beizubehalten.

Das ist Stress für den Körper – und das merkt man.

Effekte von großer Hitze auf Körper und Geist

  • Menschen neigen mehr zu Aggressionen und Wutausbrüchen. Bei großer Hitze wird u.a. das Hormon Vasopressin ausgeschüttet. Es regt die Nieren dazu an, vermehrt Wasser aus dem Harn zurückzugewinnen, hat aber zusätzlich den Effekt, dass es die Neigung zu Aggressivität erhöht. Außerdem wird bei Hitze das gesamte sympathische Nervensystem aktiviert. Das führt dazu, dass wir uns unruhiger und gereizter fühlen.

4. Extreme Hitze kann Klima-Angst schüren.

Muss dazu noch mehr gesagt werden? Ich glaube nicht. Ich will auch nicht. Allein das Wort Klima-Angst macht mir Klima-Angst. Ich verweise stattdessen auf den Artikel über Klima-Angst des Magazins fluter.

7 Tipps, um besser mit der Hitze klarzukommen

Ich verspüre einen starken Drang dazu, nun noch etwas Positives zu schreiben. Wir können unmöglich mit dem Thema Klima-Angst aufhören.

Also: Hier sind 7 Tipps, die das heiße Wetter hoffentlich ein bisschen erträglicher für dich machen.

  • Trinke genügend. Lauwarme Getränke oder Getränke mit Zimmertemperatur sind besser als kalte, weil der Körper bei kalten Getränken Energie aufwenden muss, um sie aufzuwärmen
  • Dusche während Hitzeperioden eher lauwarm als kalt aus dem selben Grund wie oben: Wenn du kalt duscht, wird dein Körper im Anschluss erst einmal „nachheizen“ und dir wird unnötig warm werden.
  • Wenn du raus in die Hitze musst, schütze deinen Kopf vor der Sonne. Auch Kühlwesten können ein wenig helfen.
  • Hab immer ein wenig Wasser dabei, mit dem du Arme und Beine und Nacken benetzen kannst.
  • Wenn du an heißen Tagen am Schreibtisch sitzt, kannst du dir feuchte Tücher um Waden und Oberschenkel wickeln.
  • Auch ein nasses Handtuch auf dem Kopf kann bei hohen Temperaturen helfen, ein wenig abzukühlen.
  • Iss nach Möglichkeit leichte, eiweißarme Speisen; ein hoher Proteingehalt kann deine körpereigene Wärmeproduktion erhöhen.

Weitere Tipps gefällig?

Dann lies gerne bei klimawandel-gesundheit.de nach, welche Maßnahmen du bei einer Hitzewelle sonst noch ergreifen kannst.

Mehr Fakten zum Thema Klimawandel

… gibt es bei den klimareportern, zum Beispiel mit dem Artikel: „220 Gesundheitsmagazine fordern Sofortmaßnahmen gegen die Klimakrise“.